Zuerst plätscherte die Stadtratssitzung so dahin, dann nahm alles eine unerwartete Wendung: Ein Lösungsvorschlag aus den Reihen der FDP.Die Liberalen Langenthal sorgte letzten Montag bei der Zusammenkunft unseres Stadtparlaments plötzlich für Spannung und einen Moment lang auch für Verwirrung. Der Änderungsantrag eines Freisinnigen wurde jedoch letztlich mit grosser Mehrheit angenommen. Hier mein Versuch, die Geschehnisse in drei Akten zusammenzufassen.
Erster Akt:
Erneut eine Stadtratssitzung in der Eventhalle des Parkhotels. Diesmal mit genereller Maskenpflicht. Ein Regime, das sich noch nicht ganz alle gewohnt sind. Abgesehen davon geht aber alles mehr oder weniger seinen regulären Gang. Der neue Stadtratspräsident Paul Bayard eröffnet die Sitzung. Appell. Kenntnisnahme der letzten beiden Stadtratsprotokolle. Dann wird das erste Geschäft in Angriff genommen. Die Traktanden zwei bis sechs betreffen allesamt Schul- und Kindergartenprojekte. Überall – mit einer Ausnahme – geht es um die Kreditbewilligung der Bauplanung.
Stadtpräsident Reto Müller erläutert gleich beim ersten Traktandum nochmals ausführlich (er braucht ca. 15 Minuten dafür), wofür die Sanierungs- und Neubauprojekte gut sind. Kaum ein Stadtratsmitglied scheint die Notwendigkeit der Geschäfte anzuzweifeln. Schliesslich sollen stark sanierungsbedürftige Schul- und Kindergartengebäude auf Vordermann gebracht werden, eine sehr dezentrale Struktur der Kindergärten soll einer zentralisierten Lösung weichen, schulpflichtige Kinder und Lehrpersonen können gleichermassen von der Umsetzung profitieren – dagegen gibt es nun wirklich nichts einzuwenden, möchte man meinen. Die Fraktionssprechenden jedenfalls äussern mehrheitlich Wohlwollen und Zustimmung. Über den Köpfen der anwesenden Gäste, mehrheitlich Personen, die dem Langenthaler Lehrerkollegium angehören, lassen sich bereits Traumblasen erahnen, ausgefüllt mit nigelnagelneuen Unterrichtszimmern und grosszügigen Schulfluren.
Gemäss Sitzungsablauf kommen jetzt noch die Einzelsprechenden an die Reihe; u.a. äussert FDP-Stadtrat Pascal Dietrich Bedenken gegen die Zentralisierung der Kindergärten, die zu längeren Schulwegen für die Kleinsten führen wird. Dann tritt Robert Kummer, Stadtrat der FDP.Die Liberalen Langenthal und Langenthaler Architekt, ans Mikrofon. Ein kurzer Räusperer, dann bringt er seinen Änderungsantrag vor. Ab diesem Moment nimmt die Stadtratssitzung eine unerwartete Wendung…
Zweiter Akt:
Sein Antrag zielt auf die Form des Wettbewerbs ab: Nicht ein Totalunternehmer soll bei den Kindergartenneubauten letztlich das Sagen haben, sondern es ist ein Vorgehen zu wählen, bei welchem mittels eines Projektwettbewerbs ein sogenanntes Generalplanerteam eruiert wird…
Einige Anwesende (mich eingeschlossen) dürften in diesem Moment vor allem Bahnhof verstanden haben. Zu den Hintergründen des Antrags gleich mehr. Zunächst zurück zum Sitzungsverlauf: Wenige Augenblicke nach Robert Kummers Wortmeldung steht SVP-Stadtrat Patrick Freudiger am Rednerpult. Er bringt seitens seiner Partei noch einen weiteren Änderungsantrag ein, notabene mit ähnlichem Inhalt wie derjenige aus der FDP.
Ein Raunen geht durch die Eventhalle. Ungläubige Blicke werden ausgetauscht. Auf den Gästesitzen zerplatzen die ersten Traumblasen. Werden jetzt die Vorlagen doch noch zerpflückt? Manch einer blickt bereits ungeduldig auf die Armbanduhr – wie lange mag die Stadtratssitzung heute wohl dauern? In diesem Moment der allgemeinen Verunsicherung stellt FDP-Parteipräsident Diego Clavadetscher auch noch einen Ordnungsantrag auf Sitzungsunterbruch. Langenthals Stadträtinnen und Stadträte stimmen zu. Paul Bayard ruft eine siebenminütige Pause aus. Was jetzt…?
Dritter Akt:
Während des Sitzungsunterbruchs spielen sich spannende Szenen ab: Stadtpräsident Reto Müller, der normalerweise ganz vorne am Gemeinderatstisch sitzt und seinen Platz nur für gelegentliche Wortmeldungen verlässt, steht auf und sucht aktiv den Kontakt zu den Antragsstellenden. Mitten im Raum finden sich die Direktbetroffenen. In einer Gruppe rund um Müller, Kummer und Freudiger wird eifrig diskutiert und gefeilscht. Derweil bedienen sich andere Stadtratsmitglieder an der Sandwichtheke oder nutzen die Gelegenheit für einen Gang zur Toilette. Nach plus-minus sieben Minuten läutet Stadtratspräsident Bayard die Glocke. Die Sitzung geht weiter.
Patrick Freudiger tritt ans Mikrofon. Er bedankt sich für die Unterbrechung und macht klar, dass man sich in der Pause einig geworden ist: «Der Antrag von Robert Kummer kommt unserem Antrag sehr nahe. Die SVP ist bereit, ihren Antrag zugunsten des Antrags von Robert Kummer zurückzuziehen.» Ab diesem Zeitpunkt geht es wieder schneller vorwärts: Geschäft für Geschäft werden die Projektierungskredite vom Stadtrat gutgeheissen, nachdem man bei den betreffenden Traktanden jeweils dem Änderungsantrag von Robert Kummer zugestimmt hat. Jeweils fast einstimmig, wohlgemerkt.
Theaterkritik:
Ein Sturm im Wasserglas also? Hätten Langenthals Stadträtinnen und Stadträte die Geschäfte nicht einfach auch in ihrer ursprünglichen Form durchwinken können? Doch, hätten sie gekonnt. Aber in diesem konkreten Fall, diese spezifische bauplanerische Frage betreffend, hat sich die Zusatzschlaufe mit Ausmittlung des besten Antrags sowie den zusätzlichen Diskussionen durchaus gelohnt. Warum?
Um es zu verstehen, musste ich den Inhalt des Antrags von Robert Kummer genauer unter die Lupe nehmen: Dieser zielt nämlich, wie erwähnt, auf die Form des Wettbewerbs ab. Nach der erfolgreichen Abstimmung im Stadtrat wird nun für die Kindergartenneubauten ein Generalplaner (Architekt) mittels Wettbewerbs eruiert. Dies bedeutet zwar für das Stadtbaumamt einen grösseren Arbeitsaufwand, weil die städtischen Baufachleute schliesslich zusätzlich auch noch die Arbeitsvergabe an die Handwerker an die Hand nehmen müssen. Es lohnt sich aber, diese zusätzlichen Arbeitsstunden in Kauf zu nehmen, wenn man dafür die ursprünglich angestrebte Zusammenarbeit mit einem Totalunternehmer (TU) vermeiden kann. Ein TU lockt zwar mit einem äusserst günstigen Angebot, hat seinen Geschäftssitz aber weiss der Geier wo, lässt dadurch das lokale Gewerbe höchstwahrscheinlich links liegen und liefert am Schluss im schlimmsten Fall ein mangelhaftes Gesamtbauwerk ab. Mängel, die man später für teures Geld wieder beheben muss. Kommt hinzu, dass ein Totalunternehmer in seiner Offerte ja auch eine nicht unerhebliche Marge mit einberechnet.
Dank des Änderungsantrags von Kummer besteht also nun nicht nur die Chance, dass die Stadt Geld einsparen kann – was angesichts der angespannten städtischen Finanzlage sehr willkommen sein dürfte. Vielmehr können nun für die einzelnen Arbeitsgattungen auch lokale Unternehmer für den Neubau der drei Kindergärten zur Submission eingeladen und berücksichtigt werden – was nicht nur dem hiesigen Gewerbe zugutekommt, sondern letztlich uns allen.
Fazit:
Was auf den ungeübten Sitzungsbesucher (also auf mich selbst) zunächst einen recht unkoordinierten Eindruck machte, war letztlich nichts anderes als nüchterne, vernünftige Parlamentsarbeit. «Die letzte Stadtratssitzung hatte einen guten Groove», resümiert auch Diego Clavadetscher. «Diese vielleicht unscheinbar wirkende Momentaufnahme zeigt, dass Langenthals Parlament wirklich etwas erreichen kann, wenn es denn will.» Ohne Gehässigkeiten aufkommen zu lassen oder Hahnenkämpfe auszutragen, habe man – auf Initiative eines einzelnen Parlamentariers – aus der Sitzung heraus gemeinsam eine konstruktive Lösung erarbeitet, die sowohl für die grosse Mehrheit im Parlament als auch für den betreffenden Gemeinderatsvertreter gangbar sei. Das sei angesichts des laufenden Wahlkampfs durchaus nicht als selbstverständlich zu erachten, so der Parteipräsident der FDP.Die Liberalen Langenthal. «Dieses Beispiel zeigt, dass wir die Geschäfte immer dann zum Vorteil der Stadt vorantreiben, wenn wir sie mit seriöser Parlamentsarbeit angehen. Unsere Langenthaler Stadt-Politik braucht keine Showeffekte, sondern vor allem Vernunft und Augenmass», so Clavadetscher weiter.