Beatrice Lüthi ist Präsidentin der FDP/jll-Fraktion im Stadtrat von Langenthal. Im Interview erzählt die Fürsprecherin, die beruflich jeden Tag mit Politik in Berührung kommt, weshalb in der FDP/jll-Fraktion niemand aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen braucht und was seriöse Fraktionsarbeit effektiv ausmacht.

By Patrick Jordi

 

Beatrice, ich frage jetzt mal ganz naiv: Warum braucht es im Stadtparlament von Langenthal überhaupt Fraktionen? Reichen die Parteien an sich nicht schon aus?

Beatrice Lüthi: «Eine Fraktion macht alleine deshalb schon Sinn, weil man die intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Stadtratstraktanden gleich auf mehrere Schultern verteilen kann. Die Themenvielfalt einer einzelnen Stadtratssitzung ist enorm! Das bedingt eine absolut seriöse Vorbereitung, die eine Person alleine zwar auch leisten kann, aber aus Gründen der Vernunft gar nicht zwingend leisten muss. Natürlich setzen wir in unserer Fraktion zwar voraus, dass jedes Stadtratsmitglied von FDP und jll im Vorfeld einer Parlamentssitzung die Akten eingehend studiert. In unserer Fraktion wird aber jedes Traktandum von einem einzelnen Stadtratsmitglied noch speziell fundiert aufbereitet. Meistens erfolgt die Zuteilung der Geschäfte nach Expertenwissen, das garantiert eine besondere Qualität in der Vorbereitung.»

Das heisst, vor der eigentlichen Stadtratssitzung findet dann in der FDP/jll-Fraktion noch ein gesonderter Erfahrungsaustausch statt?

«So ist es. Eine Woche vorher treffen wir uns zur Fraktionssitzung. Anwesend sind die Stadträtinnen und Stadträte der FDP sowie auch die jungliberale Stadträtin und die beiden Gemeinderäte Markus Gfeller und Michael Schär (beide FDP). Alle Anwesenden bringen ihren Erfahrungsschatz sowie ihre persönlichen Meinungen und Ansichten mit.»

Und wie läuft eine Fraktionssitzung ab?

«Wir gehen die Traktandenliste der bevorstehenden Stadtratssitzung durch, Geschäft für Geschäft. Diejenigen Personen, die ein Traktandum speziell vorbereitet haben, stellen die ihnen zugeteilten Geschäfte detailliert vor und geben ihre Einschätzungen dazu ab. Möglicherweise wurden bei der Stadtverwaltung vorgängig sogar noch Zusatzinformationen eingeholt oder die Präsentierenden gingen die öffentlich aufliegenden Detailakten studieren. Jedenfalls können sich auf diese Weise alle Anwesenden einen gesamtheitlichen und fundierten Eindruck aller zu behandelnden Geschäften machen.»

Ziemlich aufwändig das Ganze…

«Moment, es geht noch weiter: Nach der Präsentation eines Geschäfts werden auch noch die beiden Gemeinderäte angehört. Im Rahmen dessen, was sie aufgrund ihrer Geheimhaltungspflichten mitteilen dürfen, geben sie Auskunft und versorgen die Fraktionsmitglieder mit wertvollem Hintergrundwissen und ihren Einschätzungen. Gleiches gilt für allenfalls anwesende Kommissionsvertreter. Denn beispielsweise die Geschäftsprüfungskommission hatte ja bereits eine Woche zuvor ihre Sitzung und konnte die Geschäfte schon vorbesprechen. Nach diesen hilfreichen Inputs aus den Kommissionen wird die Diskussionsrunde eröffnet. Schliesslich stimmen wir darüber ab, ob wir dem Antrag des Gemeinderats folgen können oder nicht.»

Aha, der Moment der Wahrheit also: Stimmen meine Stadtratskolleginnen und -kollegen gleich ab wie ich? Muss ich über meinen Schatten springen und der gefassten Parole folgen…?

«Dazu kann ich nur sagen: In der FDP/jll-Fraktion versuchen wir nicht, auf Biegen und Brechen eine Einstimmigkeit zu erzwingen. Das ist der grosse Vorteil des liberalen Gedankenguts: Bei uns muss niemand aus seinem Herzen eine Mördergrube machen. Während der Stadtratssitzung trägt die Person gemäss Themenzuteilung das Votum der Fraktion ins Plenum und merkt an, ob die Fraktion dem Antrag des Gemeinderats einstimmig oder mehrheitlich einstimmig folgt, oder ob man dagegen oder mehrheitlich dagegen ist. Falls sodann ein Stadtratsmitglied noch das Bedürfnis verspürt, seine höchstpersönliche Meinung zu einem Geschäft zu äussern, so kann er oder sie sich bei der Runde der Einzelsprechenden zu Wort melden. Dieser Ablauf der Vorbereitung einer Stadtratssitzung hat sich sehr bewährt und kann als Qualitätsmerkmal unserer Fraktion angesehen werden.»

Und falls während einer Stadtratssitzung einmal etwas Unvorhergesehenes passiert?

«Für diesen Fall haben wir unsere fraktionsinterne WhatsApp-Gruppe. Wenn sich also mal jemand fragen sollte, weshalb die Mitglieder der FDP/jll-Fraktion während der Sitzung ab und zu aufs Handy starren, dann ist es nicht, weil wir die neusten News auf BLICK nachgelesen werden, sondern weil wir untereinander sachdienliche Nachrichten austauschen (schmunzelt).»

Was zeichnet die FDP/jll-Fraktion sonst noch aus?

«Wir haben eine tiefe Fluktuationsrate. Die gewählten Stadtratsmitglieder sind zumeist schon länger mit dabei, was Kontinuität garantiert. Das ist wichtig, denn nur so können wir stringente Politik betreiben und haben eine erkennbare Linie. Weiter bin ich der Überzeugung, dass unsere Fraktionsmitglieder allesamt sehr lösungsorientiert und konstruktiv denken und handeln. Wenn wir ein Geschäft kritisieren oder wenn wir dem Antrag des Gemeinderats ausnahmsweise nicht folgen, dann zeigen wir jeweils auch auf, wie man es aus unserer Sicht anders bzw. besser machen könnte. Wer kritisiert, muss auch Lösungen bereithalten oder aufzeigen, wie man zu besseren Lösungen kommt. Das tun wir. Und wir wollen Langenthal weiterbringen und dort mitgestalten, wo das Parlament seine Verantwortung wahrnehmen muss.»

Das klingt alles so diszipliniert und abgeklärt, was ja durchaus lobenswert ist. Ist es für dich nicht gerade deshalb auch verständlich, dass der FDP.Die Liberalen Langenthal zuweilen vorgeworfen wird, sie sei manchmal etwas farblos und spröde unterwegs?

«Nein, denn wir machen Politik mit heissem Herzen, votieren jedoch mit kühlem Kopf. Vielleicht entsteht deshalb manchmal der Eindruck, den du wiedergibst. Fakt ist aber: Langenthaler Stadtpolitik braucht keine Showeffekte, sondern Vernunft und Augenmass. Wir sind überzeugt, dass die Stadt von seriöser Politik letztlich am meisten und auch am nachhaltigsten profitiert. Deshalb politisieren wir auch immer auf der Sachebene und werden nicht etwa persönlich – schon gar nicht gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat.»

Blöde Frage: Warum eigentlich eine Fraktion mit den jll?

«Die jll ist eine eigenständige Partei und nicht – wie in den meisten anderen Gemeinden im Kanton Bern – eine Untersektion unserer Partei. Die Jungliberalen stehen uns ideologisch sehr nahe, daher macht es absolut Sinn, dass die FDP und die jll gemeinsam eine Fraktion im Stadtrat bilden. Und ich glaube, dass ich mich nicht zu weit auf die Äste rauslasse, wenn ich sage, dass sich an dieser langjährigen und bewährten Zusammenarbeit auch nach den bevorstehenden Gemeindewahlen nichts ändern wird – das nehme ich jetzt mal so vorneweg, auch wenn sich die Fraktion nach den Wahlen offiziell erst wieder neu konstituieren muss.»

Wenn du dir für die kommende Legislatur etwas wünschen könntest, was wäre es?

«Ich würde mir wünschen, dass unser Stadtparlament die Qualität einer positiven Streitkultur entwickelt. Innerhalb dieser Streitkultur bleiben Äusserungen, die während einer Stadtratssitzung gemacht werden, stets auf einem sachlichen und fairen Niveau. Dadurch wird das Parlament befähigt, bessere und solidere Lösungen zu erarbeiten. Das hilft letztlich uns allen. Und hätte ich noch einen Zusatzwunsch übrig, so würde ich mir wünschen, dass der Frauenanteil im Stadtrat noch weiter zunimmt. Diesbezüglich sind wir auf guten Wegen. Besonders erfreulich ist für mich in diesem Zusammenhang auch, dass die diesjährige Wahlliste der FDP.Die Liberalen Langenthal mit 20 Männern und 20 Frauen absolut ausgewogen ist – einfach spitze!»

Interview: Patrick Jordi


Zur Person:

Beruflich politisiert Beatrice Lüthi (geb. 1964) jeden Tag im Generalsekretariat des Eidg. Finanzdepartements – kein Wunder, spielt Politik auch zuhause in Langenthal für die diplomierte Fürsprecherin eine wichtige Rolle. Beatrice Lüthi bezeichnet Politik sogar als ihr Hobby, nebst Lesen, Motorradfahren und Skifahren. Ausserdem hat sie ein Faible für den Süden von Afrika. Lesen Sie hier mehr zur Person und zu den politischen Aktivitäten von Beatrice Lüthi.


Gut zu wissen:

In Langenthal ist zwecks Bildung einer Fraktion der Zusammenschluss von wenigstens drei Stadtratsmitgliedern erforderlich. Die FDP/jll-Fraktion umfasst aktuell alle zehn Stadtratsmitglieder der FDP.Die Liberalen Langenthal sowie die Stadträtin der Jungliberalen jll.


 

Beatrice Lüthi, Präsidentin FDP/jll-Fraktion